Die blaue
Blume ist ein wohlbekanntes Symbol der Romantik, das Sehnsucht, Liebe, Fantasie und das
Verlangen nach dem Unerreichbaren verkörpert. Sie ist außerdem Sinnbild für
die Wanderschaft, Selbsterkenntnis und das Streben nach der Ferne. In der
romantischen Lyrik wurde es den Poeten durch sie erstmals möglich, die
Realität mit einer Traumwelt der eigenen Fantasie und gleichzeitig sich selbst
mit der Natur zu verbinden. Auch heute noch haben blaue Blüten in der
Blumensprache eine ganz besondere Bedeutung und stehen für Treue, Freiheit und
Tiefgründigkeit. Doch wie entstand das Blumensymbol der Romantik überhaupt?
Wir sind der Frage auf den Grund gegangen.
"Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine [...] lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben, und der köstlichste Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die Blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit [...]"
(Novalis)
Das Symbol
der blauen Blume wird zum ersten Mal 1800 in dem Romanfragment Heinrich von Ofterdingen
erwähnt, das von dem frühromantischen Schriftsteller Novalis verfasst
wurde. Dort erscheint dem Protagonisten Heinrich während der Johannisnacht in
einem Traum eine blaue Wunderblume, die in ihm ein tiefes Sehnsuchtsgefühl und
ein Streben nach Ferne und Erkenntnis auslöst. Auf der Suche nach der
Wunderblume durchschreitet Heinrich anschließend sein Leben und erfährt dabei
eigene Reifung und Liebe. Inspiriert wurde Novalis bei seinem Roman vom Gemälde
eines befreundeten Malers. Im Detail handelte es sich um das Bild Die blaue
Blume von Friedrich Schwedenstein.
Der Morgen | Philipp Otto Runge |
Die blaue
Blume fand anschließend noch in zahlreichen weiteren Werken der Poesie, Malerei
und Musik als Symbol der Sehnsucht Verwendung. So schrieb Joseph Freiherr von
Eichendorff in einem Gedicht von seiner ewig währenden Suche nach der blauen Wunderblume.
Heinrich Zschokke verwendete die blaue Blume als Sehnsuchtssymbol in seiner Novelle
Der Freihof von Aarau.
In der Malerei taucht die blaue Blume während der Romantik ebenfalls mehrfach
als Symbol oder Titel von Gemälden auf, so unter anderem bei Philipp Otto Runge
in seinem Werk Der Morgen, das den Kelch einer blauen Blume am
Nachthimmel zeigt. Selbst vor muskialischen Kompositionen machte das royale
Blümchen nicht halt. Bester Beleg ist hier Franz Schuberts Vertonung
von Wilhelm Müllers Die schöne Müllerin.
Ich suche
die blaue Blume,
Ich suche
und finde sie nie,
Mir träumt,
dass in der Blume
Mein gutes
Glück mir blüh.
Ich wandre
mit meiner Harfe
Durch
Länder, Städt und Au'n,
Ob nirgends
in der Runde
Die blaue
Blume zu schaun.
Ich wandre
schon seit lange,
Hab lang
gehofft, vertraut,
Doch ach,
noch nirgends hab ich
Die blaue
Blum geschaut.
(Joseph von
Eichendorff, Die blaue Blume, 1818)
Warum die
Farbe Blau?
Die Farbe
Blau findet sich in der Natur vor allem im Himmel und in Gewässern wieder, die
durch ihre Weite eine machtvolle Unendlichkeit spürbar machen. Blau ist außerdem
die Farbe des Geistes, der Ferne und verkörpert eine natürliche Sehnsucht, die
den Menschen in fantasievolle Gefilde zieht. Bereits Goethe hielt hierzu in
seiner Farblehre fest:
„[…] so sehen wir das Blaue gern an, nicht weil es auf
uns dringt, sondern weil es uns nach sich zieht.“
(Goethe,
Werke, Bd.13, 498)
In der Natur
treten Blüten vor allem in einem Farbspektrum von Weiß bis Rot auf. Blaue Blüten
sind hingegen deutlich seltener anzutreffen. Die blaue Blume ist somit allein
aufgrund ihrer Farbe eine Besonderheit, die nicht leicht gefunden werden kann.
Durch ihren pflanzlichen Körper wird die Farbe Blau mit dem Irdischen
verbunden, da die Blume ihre Kraft aus ihren im Erdreich gelegenen Wurzeln
schöpft. Damit ergibt sich in der blauen Blume eine Verbindung von irdischem
Streben (Blume) und geistiger, himmlischer Erkenntnis (Farbe Blau).
selten und mysteriös, die blaue Kornblume | by Imaginary Lights |
Vor allem in
den lyrischen Werken der Romantik - insbesondere in den Naturgedichten - wird deutlich,
dass hiesige Poeten die blaue Blume seinerzeit als ein Symbol für eine
ganzheitliche Verbindung zwischen Natur und Mensch verstanden. Der Mensch als
fühlendes und liebendes Wesen ist auf der Suche nach Ferne und Unendlichkeit in
der Natur, getrieben durch eine Sehnsucht nach Erkenntnis. Die Erkenntnis der
Natur erfolgt dabei durch die Erkenntnis seiner selbst und durch das Erfahren
von Liebe.
Die blaue
Blume in der Wandervogelbewegung
Die Ideale
der Romantik, die sich in der blauen Blume bündelten, wurden 1892 in Steglitz
erneut von einer Studentenbewegung aufgegriffen, dem Wandervogel. Dabei stand
die Blume für eine Überzeugung, die sich gegen die fortschreitende
Industrialisierung und Verdrängung der Natur wandte und somit Kritik am
zunehmend materiell geprägten Lebenstil äußerte. Stattdessen vertrat die
Wandervogelbewegung das Ideal einer besonders naturverbundenen Lebensweise. Die
blaue Blume wurde von ihr als Gleichnis der Wanderschaft sowie die Suche nach
Glück gebraucht. In einem Lied der Wandervogelbewegung heißt es diesbezüglich:
„Wenn hell
die goldne Sonne lacht, muss in die Welt ich ziehn, denn irgendwo muss voller
Pracht die blaue Blume blühn“.
Die
Wandervogelbewegung befand sich, ebenso wie die Romantiker, auf der Suche nach
einem erkenntnisstiftenden Verbundenheitsgefühl mit der Natur. Das Wandermotiv
entsprach dabei der ewig währenden Suche des Menschen nach sich selbst. Von
Steglitz ausgehend fand die Bewegung innerhalb weniger Jahre auch Verbreitung ins
Ausland, wo sich ihr zahlreiche Jugendliche mit dem Wunsch nach einem
naturnahen Leben anschlossen.
Unter der Schreckensherrschaft der
Nationalsozialisten wurde die Bewegung in Deutschland schließlich aufgelöst und
die Mitglieder in die Hitlerjugend zwangsüberführt. Dennoch konnten sich
zahlreiche Erinnerungsfragmente dieser Bewegung erhalten, die in dem Werk Die blaue Blume des
Wandervogels von Werner Helwig gesammelt wurden.
Gedenkstein der Wandervogelbewegung im Stadtpar Steglitz |
Welche Pflanze steckt hinter der blauen Blume?
Ob der
blauen Blume von Novalis eine tatsächlich existente Pflanze zugrunde liegt, ist
bis heute umstritten. Als echte Vorbilder werden vor allem in Mitteleuropa
heimische Pflanzen, wie die Kornblume oder die Wegwarte angesehen, die sich
durch auffallend leuchtend blaue Blüten auszeichnen. Novalis selbst erwähnt
einen blauen Heliotrop, womit die blaue Blume auf eine Sonnenwende
zurückzuführen wäre. Diese Pflanzengattung umfasst allerdings über 250 Arten
und weist weiße bis dunkelblaue Blütenblätter auf. Ein Alleinstellungsmerkmal
ist die Farbe Blau in diesem Fall also nicht.
Blaue Blume | Fritz von Wille |
Eine
botanische Zuweisung der blauen Blume könnte anhand von Darstellungen in
Gemälden erfolgen. Allerdings sind diese nicht einheitlich. So erscheint die
blaugefärbte Blume in Runges „Der Morgen“ als Kelchblüte, während die
blaue Blume in Fritz von Willes gleichnamigem Gemälde an Lupinen erinnern. Auch
die Beschreibung der Wunderblume bei Novalis gibt nur wenige Hinweise auf das
genaue Erscheinungsbild der Blume:
„[…]eine
hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren
breiten, glänzenden Blättern berührte. […].“
Leider ist
das Bild von Friedrich Schwedenstein, durch das Novalis inspiriert wurde nicht
erhalten. Aufgrund der Angabe von breiten Blättern in Novalis Werk könnte die
Kornblume bereits ausgeschlossen werden, da diese eher kleine und
schmale Blätter aufweist. Lediglich die Sonnenwende würde über breite Blätter
verfügen. Allerdings sind diese nicht glänzend und auch ihre Blütenfarbe scheint
nicht mit dem Begriff lichtblau vereinbar. Hier würde der Verdacht auf die Wegwarte am nächsten liegen, doch auch sie hat wie die Kornblume eher schmale, zierliche Blätter.
Die blaue Blume der Romantik
mag sich so auch weiterhin das Geheimnis ihres botanischen Ursprungs bewahren können.
Vielleicht wurde sie von Novalis sogar bewusst als „unwirkliches“ Gewächs
beschrieben, um die Fantasie des Lesers zu fordern und ihn auf der Suche nach
der blauen Blume selbst in die Natur zu entführen…
Miriam Adam, Hannah Mages
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